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Die Nahe Umgebung ihres Wohn- und Heimatortes Tanne im Harz ist für Jette Held ausgesuchtes Experimentierfeld und Forschungslabor. Dort findet sie alles, was sie für ihre fotografischen Arbeiten benötigt, dort kann sie genau beobachten, Veränderungen wahrnehmen und sich mit einer Landschaft auseinandersetzen, die ihr zutiefst vertraut ist. Beim täglichen Abwandern ihrer Wege ins Waldgebiet erkundet sie einen abgesteckten Raum, den sie mittels Fotografie wiederholt einer Vermessung unterzieht. Dabei geht Jette Held selten mimetisch-abbildend vor, sondern erprobt Aufnahmeverfahren, die sich ganz der materiellen Ebene ihres Gegenstandes verschreiben.
Zentraler Ort für Jette Held ist eine unweit von Tanne befindliche historische Kuhtränke, eine offene Wasserstelle, die sich vom knapp über einen Kilometer entfernten Weiher speist. Diesem ihr seit Kindheitstagen bekannten Ort und seinem Element, dem Wasser, nähert sich die Künstlerin mit allen Sinnen und sucht, ihm mithilfe der Fotografie etwas zu entlocken, was sich dem bloßen Auge entzieht. So schnallte sie sich für ihre Serie Kuhtränke I eine Unterwasserkamera um den Bauch und stieg in das kühle Nass. Dabei bewegte sie sich stets behutsam, um das Biotop nicht zu stören. Die Fotografien, die ohne kontrollierte Auswahl des Ausschnitts entstanden, zeugen vom sensuellen Kontakt mit der Umwelt, bei dem der Körper selbst sehend wird und das Erfahrene in ein Bild transferiert.
Für Kuhtränke II und Kuhtränke III hingegen nutzte die Künstlerin eines ihrer bevorzugten Verfahren: die kameralose Fotografie, das Fotogramm. Dem vorgefassten Kamerablick, der nicht selten eine vorgängige Vorstellung bedient, konnte sie so mit einer Technik begegnen, bei der sich der Gegenstand direkt in das Trägermedium einschreibt. Zur Mittsommernacht machte sich Jette Held auf zur Tränke, Entwicklerschalen und Fotochemikalien im Gepäck. Sie übergab das Fotopapier dem Wasser, belichtete es und entwickelte es noch vor Ort in der Dunkelkammer der nächtlichen Landschaft. Ergebnis waren Bilder, die weder vorauszuplanen noch zu erwarten waren: Mit ganzem Volumen und in seiner Bewegung hat sich das Wasser in das Papier eingezeichnet. Ein nächstes Mal experimentierte die Künstlerin zur Mittwinternacht an der Tränke. An jenem Abend gefror das Wasser.
Die Idee fotografischer Auf- und Einschreibung weiterdenkend, ging Jette Held außerdem daran, Leinwände für mehrere Wochen den Bachzuläufen der Kuhtränke zu überlassen, sodass Wasser, Steine und Schlamm ihre Spuren hinterlassen konnten und schließlich den Stoff transformierten. Diese ‚Langzeitaufnahmen‘ behandelte die Künstlerin wie fotografische Abzüge, fixierte und wässerte sie. Hervorgegangen sind Objekte, die an gegerbtes Leder erinnern und damit eine auch haptische Qualität besitzen.
Ob Jette Held ihre Umwelt mittels Fotogrammen oder dem Bach ausgesetzter Leinwände erforscht, immer ist die Natur wesentliche Akteurin. Darüber hinaus sind mit der Beobachtung von Veränderung und Prozess in allen ihren Arbeiten die Momente menschlichen Einflusses und des Klimawandels präsent – Momente, die ebenfalls im über zwei Jahre zusammengetragenen und im klassischen Bildformat von 2:3 präsentierten Waldboden sowie dem Fotobuch, das dem Weg von ihrer Haustür zur Kuhtränke und zurück folgt und an John Gossages „The Pond“ angelehnt ist, zum Tragen kommen.
Autorin: Linda Sandrock, Kunstwissenschaftlerin, Braunschweig
Aus: Ausstellungskatalog zur Ausstellung "IM INNERN" Kunststiftung Klein, Stuttgart-Vahingen, 2023